Zigaretten, Sex und Schokoriegel – Seit 60 Jahren rockt „Satisfaction“ die Welt

Popsongs gibt es Millionen, nur wenige aber sind im Weltgedächtnis so verankert wie „(I Can’t Get No) Satisfaction“, das sogar die Generation Z kennt. Zum zweitbesten Track aller Zeiten wählte das US-Musikfachblatt „Rolling Stone“ 2004 den Song (hinter Bob Dylans „Like a Rolling Stone“). Und jahrzehntelang funktionierte er als Königsnummer der Ausflipprunde auf allen Partys. Die Generation Golf liebte auch die Elektropop-Version der Wave-Band Devo.
Es gab zahllose Cover-Versionen – von Otis Redding, von Britney Spears, zuletzt von Dolly Parton (mit Pink und Brandi Carlile), keine aber erreichte die Intensität des Originals. Bis heute werden die Stones von vielen mit diesem Stück identifiziert. Und die Musiker waren vom Schatten der „fünf Noten, die die Welt erschütterten“ („Newsweek“), irgendwann so genervt, dass sie sie für eine Weile aus dem Live-Repertoire nahmen. Mick Jagger ließ verlauten, er wolle lieber sterben, als mit 45 noch „Satisfaction“ zu singen.
Bei der 1981/1982er-Tour war „Satisfaction“ wieder „on stage“ - in einer schnelleren Version und blieb es bis heute in den Konzerten von Jagger, Keith Richards und Ronnie Wood. Auch beim bislang letzten Gig der Band am 24. Juli 2024 in Ridgedale, Missouri, schabte Rockpirat Richards das Riff aller Riffs aus den Saiten. Letzter Song des Abends - Jagger, damals zwei Tage vom 80. Geburtstag entfernt, holte die Massen zum Chorgesang dazu: „I can’t get no, / oh no, no, no. / Hey, hey, hey, that’s what I say…”
60 Jahre wird „Satisfaction“ alt. In der Nacht zum 7. Mai 1965 hatte Keith Richards die Töne plötzlich im Kopf und schlief im Fort Harrison Hotel in Creedence (Florida) nicht mehr ein vor Aufregung. Und tags darauf war Songwriter-Kompagnon Mick so angetan davon, dass er die von Keith vorgeschlagene Titelzeile sofort weiterstrickte. „I can’t get no satisfaction!“ – doppelte Verneinung als Ausdruck doppelter Empörung.
Der Text handelt von der extremen Kommerzialisierung des Lebens in Amerika. Konsum ist König, macht den Konsumenten zum Clown, der im Kaufen den Lebenszweck sieht. Ein Mittelfinger gegen die USA, Konsum-Country Nummer 1. Aufgenommen wurde das Stück am 10. Mai in den Chess-Studios in Chicago, fertiggestellt am 12. und 13. Mai in Hollywoods RCA-Studios - nur eine Woche nach der ersten Idee.
Mick Jagger bekommt nirgends „Satisfaction“, so singt er in dem Hit. Dem Typ im Fernsehen, der ihm die weißesten Hemden bei Verwendung seines Superwaschmittels verspricht, kann er keinen Glauben schenken. Denn der raucht ja nicht dieselben Zigaretten wie er, und so kann er auch kein richtiger Kerl sein. „Befriedigung“ findet er in der letzten Strophe dann auch nicht bei dem Mädchen, das er auf seinen Weltreisen als Musiker „klarmachen“ will.
Er solle nächste Woche wiederkommen, sagt sie, sie sei derzeit „on a losing streak“, habe ihre Tage, sorry. Eine unerhörte Zeile. John Lennon wurde fünf Monate später im Beatles-Song „Norwegian Wood“ von der Frau im Song mit der zahmen Begründung, sie müsse anderntags früh auf Schicht, zum Übernachten in die Badewanne verwiesen.
Der männlich dominierte Rock’n’Roll ist 1965 offenkundig noch nicht reif für Emanzipation, die Frau ist Objekt von Machobegierde (und -zorn – der zurückgewiesene Lennon zündet in „Norwegian Wood” die Wohnung der Frau an). Erstmal befreien sich also allein die jungen Männer, und wenn sie singend auf ihre Befriedigung aus sind, ist das zwar Ausdruck der sexuellen Befreiung. Aber reichlich misogyn.
Richards wollte sein Riff ursprünglich von Bläsern gespielt hören, der Rest der Stones überzeugte ihn davon, es doch bitte bei der Gitarre zu belassen. Um den verzerrten Effekt zu erhalten, benutzte er als Effektgerät ein Maestro-Fuzztone FZ 1. Auch dies unter Protest, niedergestimmt von der Bandmehrheit.
Und eine dritte Niederlage musste der „Satisfaction“-Gitarrist hinnehmen: Richards wollte um keinen Preis eine Single-Veröffentlichung, weil er eine Plagiatsklage befürchtete. In seinen Ohren klang das Riff nämlich, als wäre es von „Dancing in The Street“ (Martha & the Vandellas) geklaut.
Jagger bekam das Tamburin im Studio nicht gut gespielt, Jack Nitzsche sprang ein. Der Rest ist Geschichte. Am 10. Juli stand „Satisfaction“ als erstes Stones-Stück überhaupt an der Spitze der US-Charts und blieb vier Wochen dort. In der britischen Heimat kam „Satisfaction“ erst im August auf den Markt und am 9. September auf Platz eins. In Deutschland besetzte es ab 15. Oktober 1965 einen Monat lang den Hitparadengipfel.
Anderthalb Jahre danach gab es dann zumindest sexuelle „Satisfaction“ für die Stones und die Sache war jetzt ein Geben und Nehmen. „Ich befriedige all deine Bedürfnisse / und ich weiß, du wirst mich befriedigen“, sang Jagger im Januar 1967 im Song „Let’s Spend The Night Together“ (wobei die Band für die brave amerikanische Ed-Sullivan-Show die „Nacht“ im Songtitel gegen „ein bisschen Zeit“ austauschen musste).
Natürlich muss man eine gewisse Dialektik zulassen, wenn ausgerechnet das konsumkritische „Satisfaction“ zum kommerziellen Hit wird. Die dunkelste Stunde des großen Songs allerdings war für Fans der reinen Lehre das Jahr 1989. Da lizenzierten die Schokoriegelmacher von Snickers eine Coverversion „(I Can’t Get No) Satisfaction“ für einen Werbeclip. Ausgerechnet der Kapitalismus-Mittelfinger unter den Songs trommelte für den „Nussgenuss im Schokoguss“. Hat ihm aber letztlich auch nicht geschadet.
rnd